Kir: Keimzelle der Hamburger Clubkultur
Das Hamburger Kir, das seit dem Wochenende eine neue Heimat hat, hat eine lange Historie. Die Geschichte des Musikclubs beginnt im Hamburger Stadtteil Poppenbüttel, genauer gesagt im Poppenbütteler Weg 236 – dort, wo heute das Hotel Poppenbütteler Hof steht. Die Vorstadtdisco Sitrone war dort von 1976 bis 1983 beheimatet. Clemens Grün übernimmt im August 1983 den Club, nennt ihn Kir und ändert das Konzept. Die DJs legen New Wave, Independent und Punk auf – zu der damaligen Zeit noch eine Seltenheit in der Hansestadt. “Vor dem Kir gab es keinen Laden, der so konsequent Indie und Underground gespielt hat. Es war eine Location, in der man Dinge ausprobieren konnte. Die Zeit war reif, die jungen Leute wollten neue Sachen hören. Wir waren ein Sprungbrett für viele Bands. Bei uns spielten die, die sonst nirgendwo spielen konnten”, betont Grün.
Die Odyssee eines Kult-Clubs durch Hamburg
Ärzte spielen erstes Hamburg-Konzert
Bands wie Sisters Of Mercy, Go-Betweens und Cocteau Twins treten beispielsweise in Poppenbüttel auf – und sogar Rapper Kurtis Blow, der an zwei Abenden hintereinander den Laden füllt. “Die Ärzte hatten ihren ersten regulären Hamburger Auftritt bei uns”, sagt der 56-jährige Kir-Gründer stolz. “Als ich Farin Urlaub viele Jahre später bei einem großen Konzert gefragt habe, ob er sich noch an mich erinnert, sagte er: Natürlich, du warst damals der Erste, der uns ein Hotelzimmer bezahlt hat.”
Feuer in Poppenbüttel – Umzug nach Altona
Im Februar 1984 muss Grün für seinen Club bereits eine neue Heimat suchen, denn das Gebäude in Poppenbüttel brennt komplett nieder. Bis heute ist die Ursache nicht genau geklärt. Grün: “Die Polizei sagte, dass es ein technischer Defekt oder Brandstiftung gewesen sei. Aber die Technik war komplett neu.” Wenige Wochen später zieht das Kir in die Max-Brauer-Allee nach Altona. Weiterhin wird auf Independent gesetzt – auf der Kir-Bühne wie auf der Tanzfläche. Der kleine Club nahe der Sternbrücke wird zum zweiten Wohnzimmer für Fans von Wave/Gothic, Britpop, Crossover, Indie oder Elektropop. “Die Mischung der Gruppen hat bei uns immer extrem gut funktioniert”, sagt Grün.
Keimzelle der “Hamburger Schule” und Subkultur-Treffpunkt
Als wichtiger Treffpunkt der Subkultur-Szene und Keimzelle der sogenannten Hamburger Schule mit Bands wie Die Sterne, Blumfeld und Tocotronic ist der Club auch Teil der Ausstellung “Geniale Dilletanten” über die frühen 1980er-Jahre im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. “Die Samen des Kir sind weit gestreut worden. All die Clubs wie beispielsweise Molotow, Hafenklang, Astra-Stube oder Übel+Gefährlich wären nicht denkbar gewesen, wenn es nicht eine Urzelle gegeben hätte – das war das Kir”, betont Grün. “Es war besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren ein stilprägender Club, der auch viel für die heutige Szene getan hat. Die Macher vom Mojo Club, Oliver Korthals und Leif Nüske, haben sich bei uns kennengelernt.” Hinter dem DJ-Pult im Kir wurde die Idee zum Mojo Club geboren.
Björk, New Model Army, Sportfreunde Stiller – und Kinofilme
In der Max-Brauer-Allee spielen Bands wie Die Goldenen Zitronen, Bronski Beat, Housemartins, Blow Monkeys, Soul Asylum und die Sportfreunde Stiller. Beim Konzert von New Model Army sind nur 16 zahlende Gäste dabei – aber auch zahlreiche begeisterte Kritiker, sodass die Band schon bald größere Konzerthallen füllt. Auch die Grunge-Ikonen Soundgarden sind 1989 im Kir zu Gast. Im Februar 1986 auch die heute weltbekannte isländische Sängerin Björk mit ihrer damaligen Band KUKL. “Sie war damals schwanger. Das Konzert hat uns so gut gefallen, dass wir sie am nächsten Abend gleich noch mal spielen lassen haben”, erinnert sich Grün. “Es macht einfach Spaß zu sehen, was aus einigen Bands geworden ist.”
Auch auf der Kino-Leinwand ist der Club zu sehen. Fatih Akin dreht hier seinen ersten Spielfilm “Kurz und schmerzlos”, Jim Jarmusch sein Vampir-Drama “Only Lovers Left Alive”.
Nach knapp 20 Jahren: Neubau verdrängt Kir
Im Oktober 2003 muss das Kir nach fast zwei Jahrzehnten einem Neubau weichen und zum zweiten Mal umziehen. “Wir sollten in den Keller des neuen Gebäudes ziehen, aber dann wären wir zwei Jahre lang weg gewesen – das wollten wir nicht”, erinnert sich Michael Westeroth, der das Kir 1989 komplett übernimmt. Schon 1987 war er zu 50 Prozent eingestiegen und Partner von Grün geworden.
Stattdessen geht es nur eine Woche später in die Barnerstraße 16, nahe dem Kulturzentrum Fabrik – ebenfalls in Altona. Eine alte Produktionshalle wird umgebaut und für fast zehn Jahre die neue Kir-Heimat, die deutlich größer ist als in der Max-Brauer-Allee. Das Stammpublikum zieht anfangs mit um, denn das Programm bleibt gleich. Die Zahl der Konzerte nimmt aber immer mehr ab.
Westeroth verkauft nach mehr als 27 Jahren
Im Laufe der Jahre wird auch der Zuspruch geringer und so entscheidet sich Westeroth nach über 27 Jahren zum Verkauf. “Wehmut war dabei, aber ehrlich gesagt fiel der Abschied nicht so schwer – ich denke, es war die richtige Entscheidung”, sagt Westeroth. Genau wie sein Vorgänger hatte er zahlreichen Bands eine Chance gegeben. “Die Liste von tollen Konzerten ist lang, es ist schwer, da Highlights rauszupicken”, sagt der 56-Jährige.
Kein Wunder, dass bei der Kir-Abschiedsparty Ende Januar 2015 noch nachts um 3 Uhr mehr als 100 Leute vor der Tür in der Barnerstraße stehen und auf Einlass warten. Wenig später zieht der Monkeys Music Club in die Räume ein.
Neues Konzept und Umzug nach St. Pauli
Nach dem Rückzug von Westeroth ist die Kir-Zukunft zunächst fraglich, doch das Team um die ehemaligen Mitarbeiter José Bonachera Boza und Rüdiger Schwarz macht weiter – mit etwas verändertem Konzept und an einem anderen Standort. In der Kleinen Freiheit auf St. Pauli wird im Mai 2015 Wiedereröffnung gefeiert – als Bar mit Musik. Doch leider ist schon im Oktober nach knapp einem halben Jahr wieder Schluss. Es gibt immer wieder Beschwerden, weil das Kir dort im Erdgeschoss eines Wohnhauses untergebracht ist – in den ehemaligen Räumen der Astoria Dancehall. “Schlussendlich stand nicht nur regelmäßig die Polizei vor der Tür, sondern es gab auch die Androhung, unsere Sound-Anlage zu konfiszieren”, sagt Schwarz, der nun die Kir-Markenrechte besitzt. “Deshalb haben wir die Türen freiwillig geschlossen. Obwohl wir zum Schluss nicht mal die amtlich zugelassene Lautstärke aufgedreht hatten”, ergänzt Inhaber Bonachera Boza. Unter diesen Voraussetzungen habe es einfach keinen Spaß mehr gemacht.
Wiedereröffnung im Bezirk Eimsbüttel
Deshalb wird der erneute Umzug beschlossen – mit neuem Konzept. Aber die geplante Eröffnung in den neuen Räumen am Langenfelder Damm am 6. Februar muss zunächst abgesagt werden. Erst rund einen Monat später gibt das Bezirksamt Eimsbüttel grünes Licht. So wird am 12. März 2016 ein weiteres Kapitel in der Club-Geschichte aufgeschlagen.